Acta Pacis Westphalicae III A 6 : Die Beratungen der Städtekurie Osnabrück: 1645 - 1649 / Günter Buchstab
116. 98. Sitzung des Städterats Osnabrück 1647 September 1 8 Uhr
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Osnabrück 1647 September 1 8 Uhr
Strassburg AA fol. 410–413 = Druckvorlage; Ulm A 1560 o. F.
Besetzung der Stadt Herford durch den Kurfürsten von Brandenburg: Vollmacht Anton Fürstenaus,
Vorgehen des Städterats.
Anwesend: Straßburg auf der Rheinischen, Nürnberg, Eßlingen [per Lindau], Rothenburg [per
Nürnberg] und Memmingen auf der Schwäbischen Bank.
Herr Director proponirt: Er habe zwar, was löbliche statt Herfordt so-
wohl in schrifften als durch ihre deputierte wegen ihres jetztmahligen betrüb
ten zustandts
Die lange Zeit unklaren Rechtsverhältnisse Herfords zwischen Stift, Jülich, Brandenburg und dem
Reich waren 1631 durch Spruch des Reichskammergerichts beseitigt worden. Sehr lange konnte sich
die Stadt ihrer bestätigten Reichsfreiheit allerdings nicht erfreuen: Am 20. August 1647 besetzten
kurbrandenburgische Truppen die Stadt und übernahmen die Regierungsgeschäfte (vgl. zur reichs-
rechtlichen Lage zuletzt F. Körte ; G. Buchstab S. 72ff; R. Pape , insbes. S. 89ff).
derbringen laßen; damitt aber dieselbe vollkommene nachricht davon erlan-
gen , habe er selbige in nachstehende relation gebracht und mit ihnen zu
communiciren für nothwendig erachtet. Folgt hierauff die relation an ihr
selbsten:
Anfänglich hatt die statt Herfordt, wie ab der beylag sub nº 1 zu sehen,
begehrt, das stätt collegium solte für sich selbsten bey Ihrer Churfürstlichen
Durchlaucht zu Brandenburg für sie per modum intercessionis underthe-
nigst einkommen und bey anderen chur- und fürstlichen gesandten ein
freundtliches vorbittschreiben an höchstgedachte Ihre Churfürstliche
Durchlaucht außwürckhen. Alß aber dem cancellisten, daß solch begehren,
weiln die collegia zertheilt und die meisten stättischen anietzo zu Münster
sich befinden, auch daselbsten angebracht werden müßte, angezeigt und zu-
gleich in discursu zu erkennen gegeben worden, es werde der sachen durch
freundliches bitten und intercediren nicht zu helffen stehen, weiln der chur
fürst , wann er dise occupation nicht gedächte zu behaupten, selbige im ange-
sicht des gantzen Römischen reichs nicht würde vorgenommen haben, ge-
stalten viel leichter seye, von der intention re adhuc integra zu weichen und
die execution zu underlaßen, alß selbige nach der vollstreckhung auffzuheben
und zu cassiren, daneben das factum also atrox und enorme seye, daß fast
schimpfflich stehen und der befahrenden consequenz halben sehr praejudi-
cirlich fallen würde, wann man um die restitution underthenigst bitten solte,
da die remedia, dadurch dergleichen hostiliteten, invasiones, occupationes et
violentiae abzustellen, bekandt und neben der Römischen Kayserlichen Maje
stät das gantze Römische reich dabey ratione fractae pacis publicae inter-
essirt , gevölgig auch das schreiben, wann es nicht divisim, sondern gesamb-
ter hand an den churfürsten abgienge, weitt höheren respect und stärckheren
nachtruckh haben würde, alß wann die schwächsten und geringsten allein
intercediren und eine schimpffliche fehlbitt thun solten, so ist hierauff herr
Antoni Fürstenau
statt mitt einem general gewaltt, davon abschrifft hiebey sub nº 2, quovis
loco hülfflichen rath zu suchen und denen chur-, fürstlichen und stättischen
gesandten anzuliegen, daß sie jemanden ihres mittels dorthin abordnen wol-
ten , damitt die statt in suo esse et juribus erhalten werden möge, am ver-
wichenen donnerstag erschienen und hat sich bey denen herren Kayser-
lichen , Schwedischen, Churmaintzischen, Braunschweigischen und anderen
gesandten angemeldt, die ihme sambt und sonders gerathen haben, er solle
das factum in ein memoriale bringen und daselbe Churmaintz insinuiren,
damit es ad notitiam omnium kommen und darüber in denen dreyen reichs-
collegiis hier und zu Münster gerathschlaget werden möge. Deme er auch
also, wie die beylag nº 3 außweißt
Druck Meiern IV S. 744f.
und darauff die vertröstung fürderlicher expedition erlangt; alß aber sein
vornehmen zu Herfordt kundt worden, hatt der bürgermeister Fürstenau
(welcher vermuthlich das werckh zuvor, wo nicht allein, doch principaliter
getriben) an ihn und mich schreiben laßen, daß er fines mandati über
schritten habe, deßwegen auch seinen generalgewalt lautt der beylag nº 4
revociret und wider seine negotiation protestiret
Druck Meiern IV S. 758 f; vgl. zu der Auseinandersetzung um Fürstenaus Vollmacht G.
Buchstab S. 75–77; R. Pape : Fürstenaus Kampf.
daß die verantworttung auff ihn, den bürgermeister, fallen dörffte, weiln die
bürgerschafft nicht ohngeneigt, sich dem churfürsten zu submittiren. In
maßen zween ihres mittels nach Cleve abgeordnet seindt, mit dem chur
fürsten sich zu vergleichen. Dieweiln sie nun ihnen selbsten nicht helffen
noch außlängliche rettungsmittel ergreiffen wollen, so ist die frag, ob das
stättische collegium vermittelst des Cölnischen directorii, nachdem Chur-
maintz das memorial empfangen, litem suam machen und an den churfürsten
die abführung seiner völckher, restitution in vorigen standt und refusion der
zugefügten schäden begehren oder der reichsconsultation, item des privat-
vergleichs und was fiscalis camerae hiebey, tam ratione fractae pacis publi-
cae , quam violati mandati poenalis de non turbando, thun möchte, erwartten
solle?
Nach deren verlesung noch weitterer bericht geschehen, daß der Herford-
tische deputirte zwey andere memorialia, so auch verlesen, abgefaßt habe,
und bey dem stättischen collegio übergeben wollen, weiln aber die petita
deme zuvor bey dem Churmaintzischen directorio übergebenen memorial
gantz zuwider gewesen und eins das andere gesteckht haben würde, alß seye
er damit zuruck gewiesen und allein um abschrifft gebetten worden.
Dieweiln er nun deßwegen, daß ihme, ob hette er fines mandati überschrit
ten , schuldt gegeben werden wolle, sehr perplex und angsthafftig seye und
deretwegen von dem stättcollegio einiges bedenckhen loco attestationis
seiner bißherigen negotiation begehre, um sich bey seinen herren commit-
tenten deßto beßer zu exculpiren, alß habe er, der herr director, zu solchem
ende ein vorantwortt auffgesetzet, mit bitt, die herren abgesandten wolten,
was sie in einem und dem anderen zu erinnern haben möchten, ohnbe-
schwert eröffnen.
Gemeldtes concept ist des inhalts gewesen:
Es haben der erbaren frey- und reichsstätt anwesende räthe, bottschafften
und gesandten, was herren bürgermeister, schöffen und rath des heyligen
Römischen reichs statt Herfordt wegen ihres jetztmahligen hochbedauer-
lichen zustandtes an sie so schrifft-, so mündlich durch ihren gevollmächtig
ten deputirten, herrn Antoni Fürstenau, gelangen laßen, mit sonderbarer
wehemuth und schuldiger condolenz verstanden und mehrers nicht gewün
schet , dann daß in ihren cräfften und vermögen stünde, eilenden rath und
assistenz wider einen so hohen und mächtigen potentaten in contingenti zu
erweisen. Demnach aber die collegia zertrennt und die meisten stättischen
anjetzo zu Münster sich befinden, die sach auch an
beschaffen, daß nicht die alhier subsistirende allein, sondern das gantze
Römische reich dabey interessirt, und zu befahren stehet, daß obhabende
guarnison sich weder mit freundlichen vorbittschreiben oder underthenig-
ster intercessionen noch mit deputationen und abordnungen außtreiben
laßen, sondern der ordenlichen mittel (denen ohne das keine extraordinaria
vorzuziehen) darzu vonnöthen sein werde, alß halten sie an ihrem orth
dafür, daß der von eingangs erwehntem herrn Fürstenau auff guth befinden
der herren Kayserlichen, königlichen Schwedischen, Churmaintzischen,
fürstlich Braunschweigischen und anderer gesandten ergriffene modus pro-
cedendi mitt überreichung eines so stilisirten memorials der allerbeste, auß
träglichste und zulänglichste gewesen, demeselben auch noch ferners und so
lang zu inhaeriren seye, biß die drey reichscollegia sich eines gesambten
bedenckhens darüber werden verglichen und mitt denen herren Kayserlichen
communiciret haben. Bleiben dabeneben gantz willig und bereitt, allem
vermögen nach dahin zu concurriren, daß löbliche statt Herfordt obhaben-
den lasts auff einen oder den anderen weg entladen, in vorigen standt gestel-
let und sonsten soviel möglich indemnisiret werden möge.
Welches mehrgedachtem derenselben deputirten zu seiner behueffenden
nachricht verantworttlich anzudeutten, in heuttiger versammlung ein
müthiglich geschloßen worden.
Nürnberg. Man trage mitt löblicher statt Herfordt billich und zwar deßto
mehrers mittleyden, weiln gleichwohl der churfürstlichen durchlaucht zu
Brandenburg gegen sie verübte proceß im Römischen reich nicht gebräuch
lich , viel weniger verantwortlich und zu besorgen seye, wann man den-
selben also ohngeandet hingehen laßen solte, es dörffte das stillschweigen
auch anderen stätten hiernächst zu ohnstatten gereichen. Zumahln das
jenige, was sich mit Donauwörth vor diesem zugetragen, bekandt
Die 1606 und 1607 in Donauwörth ausgebrochenen Unruhen (Kreuz- und Fahnengefecht zwischen
Katholiken und Protestanten) veranlaßten Kaiser Rudolf II., die Reichsacht über die Stadt zu ver
hängen , die 1608 durch Hg. Maximilian von Bayern durchgeführt wurde. Für die Kosten der
Reichsexekution erzwang er die Verpfändung der Stadt. Seitdem war Donauwörth bayerische
Landstadt ( Bayer. Städtebuch II S. 155–162; Hist. Stätten VII S. 147–149; M.
Spindler II S. 371, III S. 1034 mit Literatur).
gleichwohl eine große differenz in dem enthalten, daß selbige per modum
executionis von Churbayern, diese aber per modum occupationis von chur
fürstlicher durchlaucht zu Brandenburg überzogen und ihrer freyheit ent-
setzet worden seye. Welchem nach er, daß dieses factum gehöriger orthen
ordenlich angebracht und geklagt werde, für nöthig halte. Was aber für ein
modus procedendi dabey zu gebrauchen seye und ob die stätt allein und vor
sich selbsten gebettene intercessionales ertheilen solten, stehe er an. Halte
aber, selbige würden von keinem effect sein, sondern vielmehr offension
gebähren, wann sie schon glimpfflich eingerichtet weren. Und dahero den
anderen weg, welchen die von Herfordt revociret, für beßer, bevorab weiln
das gantze Römische reich hierbey hoch interessiret und daß deßelben
glieder, solcher gestalt davon abgerißen werden, nicht zugeben und auch
löbliche statt Herfordt, wann man von diesem facto publice deliberiren und
sich eines gewißen reichsbedenckhen vergleichen solte, am besten geholffen
sein werde. Laße es bey abgefaßter vorantwortt allerdings bewenden. Stelte
dabey zum nachdenckhen, weiln die statt Herfordt ihro selbsten zuwider
seye
Bürgerschaft, Bürgermeister und Rat der Stadt, hier vor allem einflußreiche Juristen, waren offen-
bar von verschiedenen Rechtsvorstellungen und politischen Auffassungen getragen. Einige Juristen
allerdings, zu denen auch Anton Fürstenau zählte, bezogen eine klare Position gegen Brandenburg
zugunsten der Reichsunmittelbarkeit ihrer Stadt (vgl. F. Korte S. 125 Anm. 12; R. Pape
S. 93ff).
Kayserlichen und Churmaintzischen dieses facti sich per deputatos zu be-
schweren und um befürderung des eingereichten memorials, als wann sie
daselbe ultro und ohnersucht proponirten, eyfferig anzuhalten hetten, maßen
ein solches zu ihrer exoneration verhoffentlich nicht ohndienlich sein dörffte.
Eßlingen per Lindau. Er habe, was sich ohnlängsten mit löblicher statt
Herfordt verloffen, sonderlich aber auch dieses, daß die burgerschafft sich so
widerig dabey erzeigen wolle, mit bedauren desto mehr vernommen, weiln
dadurch aller verträgliche media, der statt zu helffen, schwär gemacht und
gleichsam gar entzogen worden. Nachdem aber die erbaren stätt der besor-
genden gefährlichen consequenzen halber am nechsten dabey interessirt
seyen, alß were er der meinung, man hette stättischen theils das werck desto
weniger sinckhen zu laßen, zumahln weiln sich die herren Kayserlichen,
Churmaintzischen und Braunschweigischen gar affectionirt dabey erzeigen,
sondern vielmehr auff mittel und weg, wie der bedrängten statt geholffen
werden köndte, zu gedenckhen. Und weiln auch noch mehr stätt und sonder-
lich die in der landtvogthey Hagenau gelegene zehen reichsstätt mit feindt-
lichen nachbarn umbgeben, denen eben dergleichen, was von dem chur
fürsten zu Brandenburg gedachter statt Herfordt geschehen, begegnen
köndte, alß hielte er in quaestione an dafür, daß man sich reichsstättischen
theils dieses werckhs nothwendig zu beladen hette. Ratione modi aber, stehe
er an, vermeine doch, es köndte das werckh mit denen zu Münster anwesen-
den stättischen herren gesandten ebenermaßen fürderlichst communiciret
und derenselben gedanckhen, wie man sich deßelben wegen des gemeinen
stättischen interesse annemmen wolle, vernomen werden.
Rothenburg per Nürnberg. Es seye höchlich zu verwundern, daß Chur-
brandenburg in conspectu imperii ein solches factum, welches nicht allein
einen öffentlichen fridenbruch, sondern auch viel schädliche consequentien
nach sich führe, zu begehen understehen dörffen. Und habe man sich dahero
ex parte der erbaren frey- und reichsstätt deßelben anzunemen, gleichwohl
aber auch deßto behutsamer dabey zu gehen, weiln 1. Ihrer Churfürstlichen
Durchlaucht zu Brandenburg hohe authoritet darunder interessirt, 2. kein
bericht, aus was ursachen selbige dise that vorzunemen, bewogen worden
seye, noch zur zeitt vorhanden. Und aber, daß sie selbige ohn bewegliche
motiven haben vorgehen laßen, nicht vermuthlich. Nicht weniger 3., in dem
der rath und die bürgerschafft nicht einig, sondern sehr variren, die sach
selbst schwär gemacht und dabey, ne invitis conferatur beneficium, zu be-
denckhen falle und schlechter danckh zu gewarten stehen werde. So seye auch
4. die sach also beschaffen, daß bloße intercessionales wenig oder wohl gar
zeit entweder für sich selbsten oder durch andere zu ertheilen, sondern man
solle vielmehr der statt Herfordt deputirten, bevorab weiln er das negotium
gehöriger orthen bereits angebracht, solicitiren und sich auch bey den Mün
sterischen stättischen herren abgesandten raths erhohlen laßen. Man hette
sich auch zu etwas trost und sublevation der statt Herfordt dahin erbietig zu
machen, daß im fall das Churmaintzische directorium, dieses geschäfft vor
die 3 reichscollegia ad deliberandum zu bringen, bedenckhen tragen solte,
man auff ihr, der statt begehren, zugleich um befürderung solicitiren und
ihro nomine totius civitatum imperialium collegii auch intercessionales,
doch dergestalt ertheilen wolte, wann sie ein formlich eingerichtes memorial
hiehero schickhen werde, so man beyschließen könne. Die von dem herrn
directore auffgesetzte vorantwortt betreffend, bedanckhe er sich für gehabte
mühewaltung und laße ihme selbige, außer der wortt „die desiderirte hülff“,
welche, als etwas nachdenckhlich, beßer außzulaßen weren (inmaßen gleich
geschehen), wohl gefallen.
Memmingen . Seye dieses ein ohnerhörter process und von vielen bösen con-
sequentien , dieses aber dabey das beschwärlichste, daß der rath und die
bürgerschafft ohneinig. Hielte also, man hette, was der statt Herfordt zu
Ihrer Churfürstlichen Durchlaucht zu Brandenburg abgeordnete verrichten
werden, zwar zu erwartten; dabeneben aber gleichwohl auch nicht stillzu-
schweigen , sondern sich derselben quovis modo anzunemen. Seye also
quaestio an richtig, der modus procedendi aber schwär, doch halte er fürs
beste, daß die sach an die drey reichscollegia, dahin sie ohne das gehörig,
gebracht, mit denen herren stättischen zu Münster darauß conferirt und das-
jenige mittel, weßen man sich alßdann vergleichen möchte, ergriffen werde.
Laße ihme sonsten gethane erinnerungen, wie auch des herren directoris
concipirte vorantworth wohl gefallen und es deßwegen bey den majoribus
verbleiben.
Herr Director . Er neme der herren abgesandten meinungen dahin ein, daß
man verlesene vorantwortt der statt Herfordt deputirten ertheilen solte.
Was die communication mit denen zu Münster anwesenden stättischen
herren gesandten anlange, werde der darüber sich befindende Herfordtische
cancellist daselbe bereits gethan haben. Könne im übrigen nicht schaden,
daß man denen Churmaintzischen um ehiste des geschäffts befürderung
anliege, hielte aber dafür, wann man den fiscalem (der vermuthlich nicht
lang still sitzen werde) agiren ließe, daß es dem werckh große befürderung
geben würde.
Conclusum. Es solle verlesene vorantwortt der statt Herfordt deputierten zu
seiner exculpirung zugestellt und im übrigen weitteren ervolgs erwarttet
werden.